Broschuere 50 Jahre Gesamtstadt Ettenheim 210x280 RZ-Flipbook kl - Flipbook - Seite 15
ZENTRALEN DES WIRTSCHAFTSLEBENS
Im Jahr 1835 zählte man in der Stadt 225 „ehrliche“
Meister. Die „Löbliche Allgemeine Handwerckhszunft“
war die zweite große Zunft in Ettenheim, bereits 1659
wird eine Leineweberzunft erwähnt, die u. a. die Zahl
der Webstühle und den Weberlohn festlegte. Die Weber
wohnten größtenteils in der „Webergasse“, der heutigen
Zunftgasse. Die Küferzunft soll 1752 entstanden sein. Mit
dem badischen Gewerbegesetz von 1862, das Gewerbefreiheit und Freizügigkeit brachte, hörten die Zünfte
als Berufsverbände auf, zu bestehen. In Ettenheim ist
allein die Reb- und Ackerbauzunft übrig geblieben. Die
ursprünglich „zünftigen“ Aufgaben, wie etwa die Regelung der Arbeitsbedingungen, die Kontrolle der Preise,
Löhne und Arbeitszeiten wie auch die Ausbildung der
Lehrlinge und Gesellen, sind längst weggefallen.
Die Geschichte der Zunft ist auch eine Geschichte der Landwirtschaft. Ettenheim, so schrieb der Chronist Johann Conrad Machleid
im 18. Jahrhundert, habe als Besonderheit sechs „W“ zu bieten:
gutes Wasser, große Waldungen,
Wochenmärkte, Weiden, Weizenfelder und guten Wein. Mit seinen
Tiermärkten, der Jungviehweide
und der „Winterschule“ für die landwirtschaftliche Ausbildung hatte
Ettenheim in der Region eine führende Rolle inne. Noch im Jahr
1927 etwa wurde ein Viehmarkt
mit 110 Stück Großvieh und 567
Schweinen abgehalten.
Die Zeit der von Landwirtschaft geschundenen Menschen
und Tiere ist vorbei. Heute gibt es
in der Stadt mit Wolfgang Kratt aus
der Fuchsmühle nur noch einen
Nebenerwerbslandwirt mit einer Tierhaltung mit 15 Rindern und 25 Mastschweinen. Maschinen erledigen in
wenigen Stunden Arbeit, die früher Wochen dauerte;
über Jahrhunderte verwendete Werkzeuge wie Sense,
Sichel oder Dreschflegel sind heute Museumsobjekte
oder Dekoration.
BEWUSSTE BRAUCHTUMSPFLEGE
Geblieben sind aber Traditionen aus dem Zunftleben, etwa der Zunfttag am Montag nach dem Namenstag des Zunftpatrons Sebastian, der am 20. Januar gefeiert wird. Der Tag beginn von alters her mit einem
„Seelenamt“ für die verstorbenen Zunftmitglieder. Die
Versammlung wurde früher in der Zunftstube in der
Ettikostraße abgehalten. Nach einem gemeinsamen
Frühstück findet die Neuwahl des Zunftmeisters und
seiner vier Beisitzenden statt. In der langen Geschichte
der Zunft kam dieser immer aus Ettenheim, war Landwirt oder Winzer. 1973 wurde mit Stabhalter Franz Römer
erstmals ein Ettenheimweilerer gewählt. Seither stellen
Ettenheim und Ettenheimweiler abwechselnd die Zunftmeister. 1985 wurde mit Karl Dees erstmals ein Nebenerwerbslandwirt und Handwerker gewählt, 2014 wurde
mit Claudia König erstmals eine Frau Zunftmeisterin.
Den Höhepunkt des Zunfttages bildet der festliche Zunftabend. Alle nahezu 500 Mitglieder werden
zu dem Unterhaltungsabend eingeladen, der auf vielfältige Weise das Leben und Arbeiten in der Landwirtschaft zum Thema hat. Ein Festessen, seit eh und je
„Lummel und Nudeln“, und die „Tellersammlung“ sind
feste Bestandteile des Abends. Am Sonntag nach dem
Zunfttag wird die in diesem Jahr genau 300 Jahre alte
Zunftlade mit einer Pferdekutsche
beim alten Zunftmeister abgeholt
und festlich zum neuen überführt,
bis heute übrigens standesgemäß
in schwarzen Zylindern.
Überführung der Zunftlade
durch den Zunftbeirat
Ettenheimer Zunftsiegel, Siegelabdrucke von 1680 und 1714 mit
der Abbildung des hl. Sebastian
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ETTENHEIM
dert erhalten haben, nicht im Archiv, sondern in einer
Eichentruhe, die bis heute vom alten an den neuen
Zunftmeister weitergegeben wird. Die 1725 in die Zunfttruhe geschnitzten Buchstaben G. W. R. Z. bedeuten
einer älteren Deutung zufolge „Getrost Wohllöbliche
Reb Zunft“.